
Der vollständige Artikel erscheint im Herbst 2021 in einer Publikation im Carl Auer Verlag zum Thema „Sinnvolle Organisation – Pro & Contra“.
Früher gab es die Gesänge. Und davor – lange davor – schon die Tänze. Mit Stimme, Fuß und schlagendem Herzen erzählten wir einander den Sternenlauf. Den leeren Mond und den vollkommenen. Und unter dem bewegten Himmelsfeuer unser Leben und Sterben im Wechsel der Jahreszeiten. Auch dies war ein Tanz und es war nur richtig, auch ihn in den Lehm dieser Welt zu stempeln, ihn zu atmen und dem Atmen Klang zu verleihen. So schufen wir die Welt aus uns selbst. Gaben ihr Bedeutung. Gaben sie einander. Sangen uns in das Gewebe des Lebens hinein.
[Rabbit Hole 20] Etwas über tanzende Bienen und die Bedeutung des Geschichtenerzählens
Ich erinnere mich an meinen Großvater und an einen Vorfall, den ich lange in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen versucht habe. Indem ich mich erinnere, erzähle ich. Indem ich erzähle, erschaffe ich mich selbst.
Der Vorfall ereignete sich an einem warmen Maitag im Jahr 1977. Jimmy Carter war damals Präsident der Vereinigten Staaten, die Welt schlummerte noch friedlich im Kalten Krieg und ich war ein neugieriger Sechsjähriger, der aufbrach, um die Welt der Erwachsenen zu entdecken.
Ich erinnere mich. Wie mein Großvater gegen Mittag aufgeregt über die Wiese vor dem Bauernhaus rannte. Bis ans andere Ende des Grundstücks, wo es an den alten Bahnschuppen der örtlichen Straßenbahn angrenzte.
[Rabbit Hole 21] Ein kurzer Aufenthalt bei systemischen Honigtöpfen.
Wenn ich gefragt werde, ob eine Organisation sinnvoll sein soll und darf – und tatsächlich werde ich in meiner Arbeit als Organisationsberaterin immer wieder danach gefragt –, fällt es mir schwer, eine klare Antwort zu geben. Ich denke dann an meinen Großvater und seine Bienen, denen er mehr zumuten wollte, als ihrer Natur fremd war. Vor allem wollte er, dass sie nach seiner Pfeife tanzten. Ich glaube, das konnte nur schiefgehen. In seinem Bienenstock – und wenn Sie mir die metaphorische Übersetzung erlauben – natürlich auch in menschlichen Organisationen.
Wo Menschen zusammenkommen und sich auf ein gemeinsames Ziel hin organisieren, lässt sich Sinnbildung gar nicht vermeiden. Sie ist gewissermaßen systemimmanent. Organisationen sind immer auch Sinnmaschinen, in denen Menschen im Rahmen von Erwartungsstrukturen ihre Beziehungen zu anderen Menschen planen, gestalten und bewerten. Das tun sie natürlich, indem sie miteinander kommunizieren. Auf der etwas überbewerteten rationalen Sachebene und mehr noch auf der relationalen und oft unbewussten Sinnebene. Auf letzterer sind Erfahrungen, Emotionen, Werte, unhinterfragte Grundannahmen – Wohlstand ist z. B. proportional zum Wachstum – und überhaupt unsere Heuristiken im Umgang mit den Phänomenen dieser Welt beheimatet. Noch etwas kennzeichnet diese Ebene: Die Informationen sind nicht logisch, sondern narrativ strukturiert. So wie die komplexen Mikro- und Makromodelle für ein gelingendes Leben, die sich letztlich aus ihnen konstituieren. Wir erfahren Welt nicht direkt, wir erzählen sie uns. Und jede Erzählung ist eine Sinnkonstruktion der Welt.
Kurz: Sinn wird gemacht. Er existiert nicht einfach, sondern wird im Zusammenspiel mit anderen Menschen narrativ konstruiert. Daher ist für mich nicht das Ob, sondern das Wie interessant. Wie viel Mitgestaltungspotential den Beteiligten an solchen Sinnbildungsprozessen also zugestanden wird und wie dynamisch sich die Sinnbildung aktualisieren kann, denn was heute Sinn macht, kann morgen schon völliger Unsinn sein.
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